Me Carsten Kreilaus

Unsere Erde 2050

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie DIE WELT schreiben den Essay-Wettbewerb „Die Welt der Zukunft“ aus. Mitmachen kann ich nicht mehr, zu alt und nicht Zielgruppe. Das Gedankenspiel wie wir unser Leben in Zukunft gestalten, trete ich trotzdem an…

Unsere Erde 2050

Ich heiße Jan und bin 42 Jahre alt. Geboren bin ich im Jahr 2007, kurz vor der Finanzkrise und aufgewachsen in Zeiten von Rezession, Rettungsschirmen, Europakrise und Klimadiskussionen. Daran kann ich mich nicht bewusst erinnern, meine Eltern haben mir allerdings immer viel erzählt. Seit 2012 habe ich Erinnerungen an die turbulente Zeit. Eine Zeit des Wandels.Aus heutiger Sicht setzte damals ein Paradigmenwechsel in der Gesellschaft ein. Der Weg war ungewiss, aber losgetreten. Heute – im Jahr 2050 – weiß ich, dass die damals gelegten Grundsteine unser heutiges Leben ermöglichen: Ein zuversichtliches Leben.

Wie leben wir?

2012 haben wir weit weg von Mama´s und Papa´s Familie gelebt. Papa hat das nie wirklich gefallen. Er hat schon immer davon geschwärmt mit meinem Onkel oder auch Oma unter einem Dach zu wohnen. Eine räumliche Trennung ist ihm dabei wichtig, sprich jeder wohnt in seinem abgetrennten Wohnbereich ohne Durchgang. Nichtsdestotrotz hat er die Synergien gesehen, die mögliche gegenseitige Unterstützung. Die Bevölkerung wurde und wird noch zunehmend älter. Die damit verbundenen Probleme in der Gesellschaft mussten angepackt werden. Das bisherige Gesundheits- und Rentensystem konnte das nicht länger auffangen. Vor allem ein sozial verträgliches Altern wurde zum Diskussionspunkt. Die Pflege, das Wohnen wurde neu gedacht. So wurden über die Zeit Werte wie der Familienzusammenhalt modernisiert. Das angesprochene Mehrgenerationen-Haus und Wohngemeinschaften feierten ein Revival, sind heute Usus. Ich selbst wohne mit meiner Familie und Mama, Papa unter einem Dach. Dieser enge Familienbund macht uns, wie vielen anderen auch, Freude. Das gegenseitige Verständnis hat zugenommen und praktisch ist es obendrein. Mama passt oft auf unsere beiden Kinder sowie den Hund auf. Wir kaufen dafür für die beiden ein, erledigen die Gartenarbeit und sonstige Arbeiten die im Alter nicht mehr so leicht von der Hand gehen.
Unser Alltag ist geprägt von einer intelligenten Steuerung. Was ich damit meine ist schnell erklärt: Das Internet der Dinge hat Einzug gehalten und so kommuniziert wirklich alles mit allem. 2012 wurde darüber gesprochen, der Durchbruch war allerdings erst Mitte der Zwanziger. Diese vollständige Vernetzung war den Datenschützern ein Garaus, reduziert aber Komplexitäten. Macht alles einfach einfacher. Die totale Vernetzung ist nicht mehr wegzudenken. Ein paar Beispiele über die in der Vergangenheit spekuliert wurde, heute normal sind: Der Kühlschrank meldet jederzeit Lebensmittel die knapp werden an unsere Einkaufsliste. Diese wird von unserem Social-Ich im Netz nachgekauft und direkt geliefert.
Eigentlich plappern sämtliche Haushaltsgeräte miteinander. Praktisch ist es deshalb, weil so das Handy von der Stromlosigkeit des Fernseher weiß. Es teilt die notwendige Dosis mit ihm. Sollte das Haus unterversorgt sein, so zieht es sich eine entsprechende Menge Strom aus dem Straßennetz, welches unser Stromversorgung ist. Im umgekehrten Fall dienen alle Geräte als Stromspeicher. Wir sind endlich befreit von lästigen Kabeln und auch Steckdosen gibt es nicht mehr. Das Haus ist eine große Induktionszelle, genauso die Straßen für unsere Elektro-Mobilität. Aufladen war früher. Heute sprechen wir von Strom „on the fly“. Das was ein Produkt an Strom benötigt, induziert es für seinen laufenden Betrieb.
Das Ziel der Bundesregierung 1 Mio. E-Autos bis 2020 auf die Straßen zu bringen wurde nicht erreicht. Der Durchbruch kam dennoch. Spätestens seit die Autohersteller zu Mobilitätskonzept-Vermarktern geworden sind und die Produktion von Autos zur Nebensache. Die Autos dienen hauptsächlich unserem Transport. Seinen Stellenwert als Status Symbol hat das Auto eingebüßt. Ein individuelles Design wird noch nachgefragt, muss aber extra bezahlt werden. Das Basisprodukt gibt es kostenlos. Wobei nichts kostenlos ist, denn wir zahlen für die Nutzung. Der Batteriemarkt existiert nicht mehr. Der Antrieb wird über die ständige Abrufbarkeit an Energie über die Straßen gewährleistet. Die Autos kommunizieren unter- und miteinander. Wir kennen weder Ampeln noch Unfälle. Der Verkehr ist ein sich selbstregulierender Fluss von Verkehrsteilnehmern, selbst bei manueller Fahrt. Wir fahren intelligent. Für jede Wegstrecke nutzen wir die bestmögliche Kombination bestehender Verkehrsmittel, vor allem vor dem Hintergrund unseres ökologischen Fußabdrucks. Wir nutzen das Auto nicht mehr alleine, sondern mit der Familie, Nachbarn, Freunden zusammen. Teilen ist angesagt, immer noch. Die Mobilität ist wichtig, hat durch das Internet an Bedeutung verloren.
Arbeiten können wir quasi überall, vor allem von zu Hause. Schaltzentrale für unsere Arbeit und Privatleben ist das Smartphone. Dies ist unser ständiger Begleiter. Es ist Geldbörse, Kommunikationsmittel, Shopping-Center, Haus- und Autoschlüssel, Computer, Arzt, Social-Ich, uvm. Nicht nur Dienstleister reicht das Smartphone fürs Arbeiten. Auch die immer weniger produzierenden Arbeitsstellen arbeiten von wo sie wollen. Dank Log-in ins Firmennetzwerk kann der Arbeiter sein Robotik-Ich steuern. Surrogates light sozusagen. Die Selbstbestimmung beschreibt am besten, wie wir heute arbeiten. Die Unternehmen sind ein lockerer Verbund von Projektarbeitern, mit einem Kern an Steuerern. Diese managen im klassischen Sinne die Projektarbeiter, ohne uns direkt vorzustehen. Wir arbeiten dezentral, weg von einer hierarchischen, pyramidenhaften Organisation hin zur Bestimmung und Verwaltung durch die Angestellten selbst. Ich werde im Unternehmen nicht als reine Arbeitskraft angesehen, die zu funktionieren hat. Uns wird Vertrauen geschenkt die Firmengeschicke selbst in die Hand zu nehmen, was letztlich in ein Management ohne Manager mündet. Das Wohlergehen der Mitarbeiter ist wichtiger, als deren ständige Kontrolle. Der Erfolg stellt sich durch zufriedenere Mitarbeiter mehr oder weniger von alleine ein. Der Befürchtung von Illoyalität kann ich aus genannten Gründen nur widersprechen. Die Mitarbeiter leisten sehr gute Arbeit, weil sie das Gefühl haben etwas bewirken zu können, dass ihre Mühen lohnen und sie Teil von etwas Besonderem und Wichtigem sind. Insofern spricht man nicht mehr von Angestellten oder Mitarbeitern, sondern Mitunternehmern. Eine Kultur von Mit- und Selbstbestimmung, radikale Demokratisierung, Respekt, Transparenz, Verantwortung, Integrität und Vertrauen ist in den Unternehmen implementiert worden. Die Gewerkschaften und Betriebsräte sind ausgestorben. Sie sind durch unsere direkte Mitbestimmung schlichtweg obsolet.
Auch in der Politik gilt das Prinzip der direkten Mitbestimmung. Wir leben eine Politik ohne Politiker. Nun ja, Politiker gibt es immer noch. Sie sind Volksvertreter, gewählt aufgrund ihrer Qualifikation in einem bestimmten Fachgebiet. Parteien und ihre Programme gibt es nicht mehr. Früher ging es ums Regieren und Regieren lassen. Unsere Meinung war nach der Wahl nicht mehr gefragt, schon gar nicht unsere Mitbestimmung. Die heute von uns gewählten Vertreter können sich für die verschiedenen Ämter mit den unterschiedlichen Qualifikationsanforderungen bewerben und müssen durch ein Bewerbungsgespräch, mit uns allen. In regelmäßigen Intervallen wird ihre Leistung überprüft und von uns bewertet. In 4 Jahren kann viel passieren, diese Bewertungen finden daher jährlich statt. Wer eine Mindestpunktzahl nicht erreicht, wird abgewählt. Was das Programm betrifft, so bestimmen wir die Punkte, die entschieden werden müssen und in welcher Reihenfolge, bspw. wie der Haushalt, wie die Steuern geregelt werden, das Gesundheitssystem, unsere Rente, das Finanz- und Wirtschaftssystem. Wir wissen am besten, wo es uns juckt und die Demokratie egalisiert. Ich alleine bin kein Spezialist in jeder Disziplin und kann überall kompetent mitbestimmen, aber wir alle haben ausreichend viele Spezialisten. Das Schöne daran: unsere gewählten Politiker können sich voll und ganz der Verbesserungen ihrer Aufgabe widmen. Es ist keine “Politik” mehr notwendig, keine Parteikämpfe. Sie werden auch nicht von Posten zu Posten verschoben, ohne dafür geeignete Kompetenzen, rein durch Parteilobbyismus. Leistung zählt und überzeugt, muss uns überzeugen. Insofern sind die Politiker Mitunternehmer der Gesellschaft und Spezialisten auf ihrem Aufgabengebiet.

Wie wirtschaften wir?

Unsere Natur ist das Teilen. Das Eigentum steht schon lange nicht mehr im Vordergrund, sondern der Zugang. Status Symbole sind out. Die Benutzung ist in. Die Frage, die wir uns bei jeder Anschaffung stellen ist: Was brauchen wir wirklich? Insofern ist eine Verantwortung eingezogen in unseren Konsum. Bono von U2 – eine der Lieblingsbands von Papa – hat dazu den Begriff „conscious consumerism“ geprägt. Das ist es, was wir heute leben. Klar, eine schicke Uhr ist nach wie vor toll und erstrebenswert. Aber nicht mehr um damit zu kokettieren, sondern der Faszination für dieses Schaffenswerk und seiner Schönheit. Mein Gefühl ist, dass wir uns heute viel mehr an den Dingen erfreuen. Unseren Konsum erledigen wir ausschließlich im Internet und lassen die Bestellungen liefern. Dann und wann besuchen wir Showrooms, um die Ware haptisch zu erfahren. Autos schauen wir uns so an, Luxusgüter, auch Mode.
Wir verzichten viel mehr auf den Überfluss. Dadurch sind viele Uneigenheiten der Vergangenheit verschwunden. Der Lebenszyklus eines Produktes endet nicht automatisch nach einem oder zwei Jahren. Die Güter zeichnen sich durch Öko-Effektivität aus. Das bedeutet Langfristigkeit: die Produkte und Rohstoffe haben so gut wie möglich zu sein, gleich langfristig haltend. Es entstehen nachhaltige Produkte, Materialien und Dienstleistungen, die die menschlichen Bedürfnisse erfüllen, ohne dabei die natürlichen und künstlichen Ressourcen zu erschöpfen, die Belastbarkeit von Ökosystemen zu überschreiten und unsere sowie zukünftige Generationen ihrer Chancen zu berauben. Der Konsum in 2050 steht für eine Umwelt mit Zukunft. Die Unternehmen haben sich entsprechend aufgestellt.
Durch das Social Business ist die Wirtschaft direkter geworden, eine wirklich soziale Marktwirtschaft. Mit direkter meine ich, dass wir Konsumenten viel mehr Partizipation in den Unternehmen haben und zwar auf allen Ebenen. In der Markenführung, bei der Produktentwicklung, dem Vertrieb. Bekannt ist der Umstand schon lange. Nur passiert ist nichts. Unser Konsum hatte kaum Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen. Durch Mitbestimmung und Miteigentum nehmen wir direkten Einfluss. Das Miteigentum geht über den Aktienbesitz hinaus, bis zum Crowdfunding als ergänzende Finanzierungsmöglichkeiten. Die Unternehmen lassen sich dabei immer mehr unter die Haube schauen, ganz im Sinne einer qualifizierten Mitbestimmung von uns Usern. Die Bertelsmann Umfrage Jugend und Nachhaltigkeit im August 2009/Shell Jugendstudie September 2010 hat dies bereits vermutet: Das Ergebnis zeigte, dass 78 % der Befragten an eine stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft in die Wirtschaft als ein Katalysator für verändertes Verhalten sehen. Das ist eingetreten. Die Zügel für mehr Respekt und Rücksicht halten wir gemeinsam in der Hand.
Auch die Kooperativen haben sich in den letzten Jahrzehnten zu einer ansehnlichen Gesellschaftsform entwickelt und bereichsübergreifend Kapitalgesellschaften ergänzt oder ersetzt. Ist die logische Konsequenz der Mitbestimmung. Ich bin Teil des Ganzen und nicht nur ein Rad im Getriebe. Ich kann hinter die Kulissen blicken und weiß was abgeht. Die Unternehmenstransparenz ist Alltag. Die Deutsche Bahn wurde nie zu einer AG. Sie gehört heute uns. Anfang der 20er Jahre wurde die Gesellschaftsform in eine Kooperative transformiert. Seither sind wir mitverantwortlich für die Pünktlichkeit, die Preise, die Infrastruktur, den Service und die Ausstattung der Züge. Unsere Bahn kann sich sehen lassen. Wir haben den Güterverkehr auf der Schiene wieder konkurrenzfähig gemacht. Profitieren gleich doppelt: weniger LKWs auf der Straße, mehr Gewinn auf der Schiene, den wir für weitere Investitionen nutzen können. Die Gewinnmaximierung ist nicht mehr vordergründig. Wichtig sind Gewinne für den Erhalt und Ausbau, Ausbau zu einem besseren Unternehmen. Das widerspricht der Realität in 2012. Hier galt für die Unternehmen anscheinend die Devise „Wenn du Macht hast, nutze diese zu deinem Vorteil.“ Das entspricht nicht mehr dem grundlegenden Wertesystem. Es gilt: „Wenn du Macht hast, hast du eine Pflicht!„, nämlich Verantwortung zu übernehmen gegenüber Mensch und Umwelt.

Wie bewahren wir unsere Umwelt?

In den 20ern, 30ern dieses Jahrtausends haben wir die Umwelt in unsere wirtschaftlichen Rechnungen eingebracht. Damit war die Natur nicht länger kostenlos. Wenn wir uns ihrer bedienen, zahlen wir. Egal ob wir Auto fahren, Bodenschätze nutzen oder ein Haus bauen. Am Anfang gab es heftigste Proteste. Niemand wollte zahlen. Eine ähnliche Diskussion wie beim Internet entstand. Darf es etwas kosten, wenn wir uns in der Natur bewegen? In den 40ern sind diese abgeebt und mit der Werteverschiebung entwickelte sich ein kollektives Verständnis. Ein Verständnis jenseits der Kostenlos-Mentalität, in der wir uns als Teil des Systems verstehen und an die Zukunft jenseits unserer Eigenen denken. Heute stelle ich mir die Frage „Wie wir unsere Umwelt bewahren“ gar nicht mehr. Wir tun es einfach, wir alle. Keine Produktion, kein Produkt, kein Handeln, kein Unternehmen oder Land, kein Mensch ohne soziales und ökologisches Bewusstsein. Es gibt keine Alternativen und das haben wir verstanden. Friede, Freude, Eierkuchen haben wir dennoch nicht und Blödmänner gibt es immer. Auch heute noch. Die stehen Gott sei Dank schnell auf dem Abstellgleis, weil die Offenheit der Gesellschaft sie überführt und die Mehrheit sich gegen ihr unnachhaltiges Denken ausspricht. Zum Menschsein gehören Fehler und diese gestehen wir jedem ein, am Ende werden diese übers Kollektiv korrigiert…

Dieses Jahr werde ich 5 Jahre alt und wünsche mir euch im Alter von 42 tatsächlich von einer ähnlichen Welt wie oben beschrieben berichten zu können. Ja, das wäre schön. Die Geschichte wiederholt sich leider zu oft, ohne dass wir lernen. Tatsächlich ist bisher zu wenig passiert, außer viel Gerede. Mit dem 1972 veröffentlichten Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome ist 40 Jahre viel geredet und wenig gehandelt worden. Die Mittel haben wir. Die Vernunft nicht. Von heute an haben wir 38 Jahre Zeit zu handeln. Zeit genug vernünftig zu werden, sollte man meinen. Diese Zukunft können wir gemeinsam erschaffen, wenn wir Hier und Jetzt durchstarten! Das Leben ist, was wir daraus machen.